Pech und Schwefel haben ausgedient. Um dieses Team und seinen inneren Zusammenhalt zu beschreiben, werden neue Begriffe erfunden werden müssen.
Die Mannschaft, bestehend aus Linus, Maksim, Yuan und Roman, die von Andi betreut wurde, zeigte einen bespiellosen Teamgeist und wuchs insbesondere in den Schlussrunden über sich hinaus. Am Ende landete man auf einem nie für möglich gehaltenen dritten Platz. Welche Leistung!!!
Dabei begann das Turnier nicht gut.
In der ersten Runde bekamen wir – an 12 gesetzt – mit den Schachzwergen Magdeburg den Zweitgesetzten zugelost. Insgeheim hoffte der Berichterstatter auf einen oder zwei Mannschaftspunkte, da es von der Papierform her an den ersten drei Brettern Duelle auf Augenhöhe gab. Leider lief in dieser Runde nicht viel zusammen und lediglich Maksim konnte mit einem Remis etwas Zählbares verbuchen.
In der zweiten Runde ging es gegen die Schachakademie Paderborn. Linus, Yuan und Roman gewannen ihre Partien, während Maksim eine unglückliche Niederlage einstecken musste. Wie die Jungs zusammenhielten, zeigt allein schon, was nach dieser Begegnung geschah: Yuan wollte an diesem Abend eigentlich Bekannte in Magdeburg besuchen. Als er um halb acht immer noch da war, fragte Andi ihn, ob er denn noch loswolle. Die Antwort von Yuan war eindeutig: „Ich kann nicht weg. Maksim hat verloren. Ich muss ihn trösten.“
Die dritte Runde ging jedoch erneut verloren. Gegen den SK Münster mussten Linus und Yuan, der mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte (vielen Dank an Lei Liu, der seine Hausapotheke dabeihatte und Yuan damit zur Nachmittagsrunde wieder fit bekam), ihren Gegnern jeweils den vollen Punkt überlassen. Roman fuhr seinen zweiten Sieg ein. Maksim kam aber leider nicht über ein Remis hinaus.
Durch diese Niederlage schienen sich alle „Ambitionen“ auf die vorderen Plätze (die man sowieso aufgrund des Setzranglistenplatzes nicht hatte) erledigt zu haben. Was folgen sollte, konnte man nicht ahnen.
In der Nachmittagsrunde des zweiten Tages trafen wir auf die SF Schöneck. Maksim, Yuan und Roman sorgten für volle Punkte, während Linus ein Remis zum 3,5-0,5-Erfolg beisteuerte.
Die Auslosung für die fünfte Runde bescherte uns ein Duell mit dem Lübecker SV. Bei der Vorbereitung beschwerte sich Roman, dass er einen so starken Gegner habe. Daraufhin meinte Yuan sofort: „Was ist das für eine Einstellung? Den haust du weg!“ …und Linus und Maksim stimmten dem sofort zu. Für den Berichterstatter ist es schön zu sehen, wenn es gar nicht mehr notwendig ist, selbst etwas sagen zu müssen, sondern die Jungs mittlerweile einstellungsmäßig selbstbetreuend sind und sich gegenseitig Mut machen.
…und was soll man sagen? Roman nahm sich wohl die Ansage seiner Teamkameraden und Andis Motto „Ich glaube nicht an DWZ, ich glaube an gute Züge“ zu Herzen und konnte trotz eines DWZ-Defizits von 330 Punkten seinen vierten Sieg in Folge einfahren. Linus und Yuan konnten ihre Partien ebenfalls gewinnen. Maksim spielte remis und so stand ein erneuter 3,5:0,5-Erfolg zu Buche.
In der sechsten Runde ging es gegen die SG Porz. Roman und Yuan fuhren souveräne Siege ein, während Linus unglücklich verlor. Jetzt lag die Last auf Maksim. Zum Schluss musste er das Endspiel „Turm + h- und f-Bauer gegen Turm“ verteidigen. Dieses ist zwar normalerweise objektiv remis, jedoch selbst Smyslov kommentierte dieses Endspiel mal mit: „Man hat remis gehalten, steht vom Brett auf und denkt, es sei ein Wunder passiert.“
Maksim trat in die Fußstapfen des Ex-Weltmeisters, sicherte das Remis und damit den Mannschaftssieg unter dem Jubel seiner Mannschaftskollegen.
Durch diesen Sieg waren wir vor der Schlussrunde auf Platz sechs, allerdings nur einen Mannschaftspunkt hinter dem Spitzenreiter Hamburger SK.
In der letzten Runde bekam man die „Total unmögliche Aufgabe“ („You don’t know Jack“-Freunde werden wissen, was damit gemeint ist) und musste gegen eben jenen hohen Setzranglisten- und DWZ-Favoriten Hamburger SK antreten, der mit einem Schlussrundensieg Meister gewesen wäre.
Die Auslosung wurde von Andi mit den typisch „andischen“ Worten bekanntgegeben: „So, Männer, morgen gibt es die ganz leichten Gegner. Wir spielen gegen den HSK.“
Schnell war man sich einig, dass man selbst eigentlich keinen Druck hatte, zumal man als krasser Außenseiter (von der Papierform her lag die Gewinnerwartung bei 0,901:3,099) in die Begegnung ging und die gegnerische Mannschaft viel mehr Druck verspüren sollte, da sie mit einem Sieg wohl Meister wäre.
Der Mannschaftskampf war an Dramatik kaum zu überbieten. Roman spielte erneut eine Riesenpartie und brachte uns in Führung. Yuan erhöhte kurz darauf auf 2:0. Es folgte eine Niederlage von Maksim. Dann begann das große Zittern. Wenig später war der Mannschaftskampf an Tisch 4 beendet. Mit dem dortigen Ergebnis war klar, dass man mit einem Mannschaftssieg auf dem Treppchen landen würde.
Beim Stand von 2:1 war klar, dass Linus, der eine schwierige Stellung zu verteidigen hatte, jede moralische Unterstützung brauchte. …und seine Teamkameraden ließen ihn nicht im Stich. Im Beitragsbild sieht man die laufende Partie. Die Anwesenheit von Yuan, Maksim und Roman signalisiert: „Linus, du kämpfst nicht allein, wir sind bei dir!“
Zudem wurde Linus durch die Anwesenheit von Alex H. und Julius unterstützt, die immer Mal wieder zuguckten und ebenfalls mitfieberten.
Man merkte den beiden Spielern bei langsam knapp werdender Zeit den Druck an, schließlich ging es in dieser Partie um den letzten Treppchenplatz. Zunächst verschlechterte sich Linus Stellung zusehends. Jedoch konnte er noch einige Drohungen gegen den gegnerischen König aufstellen. Sein Gegner sah sich daraufhin gezwungen, eine Figur zu geben. Kurz darauf setze Linus, der in diesem Moment über eine absolute Gewinnstellung verfügte, mannschaftsdienlich zu einem Dauerschach an und bot remis an, was vom Gegner sofort akzeptiert wurde. Der Rest war grenzenloser Jubel und Linus konnte sich vor Umarmungen nicht mehr retten.
Der Ehren-SJBler, Daniel Prenzler, kommentierte die Szenen: „Ich finde es super, dass die Jungs sich mehr über einen dritten Platz freuen können, als manch andere über die Meisterschaft.“
…und der Berichterstatter muss konstatieren: „Das ist das geilste Team, welches ich jemals betreut habe.“
Roman spielte ein unglaubliches Turnier. Hätte man ihm gesagt: „Hol die Sterne vom Himmel!“ – er hätte es getan. Zusatzlohn war der Pokal für das beste Brett vier. Zudem war er bester Spieler des gesamten Turniers und das obwohl er vor dem Turnier noch zweifelte, ob er der Mannschaft helfen könne, da seine DWZ ja so schlecht sei… Mit seiner Leistung von 1879 lag er 549 Punkte über seiner alten DWZ. Das ist eine der herausragendsten Leistungen, die der Berichterstatter jemals im Sport gesehen hat.
Maksim und Roman sind erst 2018 aus Russland nach Deutschland gezogen, haben aber bei uns sofort eine Heimat, Anerkennung und Freundschaft gefunden. Insbesondere Roman hatte in der Anfangszeit in Deutschland insbesondere aufgrund von Sprachdefiziten einige Probleme. Bei uns fand er allerdings nur offene Türen vor und durfte sich insbesondere im Schachbereich sofort heimisch fühlen. Jetzt, ein halbes Jahr später, haben sich die Sprachprobleme zum großen Teil erledigt und es ist eine wahre Freude zu sehen, wie Roman von unserer Schachfamilie profitiert. …und wir stellen wieder einmal fest, dass wir mit Roman und Maksim sowohl schachlich als auch menschlich im Jahr 2018 einen Hauptgewinn gezogen haben (und die beiden auch mit uns).
Bei der DVM durften Roman und Maksim nur aufgrund einer Ausnahmegenehmigung der DSJ teilnehmen. Daher sei an dieser Stelle noch einmal herzlich der DSJ gedankt, die eine Entscheidung im Sinne der Jungs getroffen hat. Diesen Integrationskurs hätte man nicht erfinden können!
…und natürlich noch ein herzliches Dankeschön an das Team um Michael Zeuner für die hervorragende Ausrichtung der Meisterschaft und an die Schiedsrichter (insbesondere an Kristin, die kurzfristig eingesprungen ist) für den reibungslosen Ablauf des Turniers.
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